Sea Art Festival in Busan: Kunst als Artenschutz
Erschienen bei Monopol online am 1. Oktober 2025
Die südkoreanische Metropole Busan ist vom Aussterben bedroht, die Meere ersticken am Plastik. Beide Themen spielen nun in das Kunstfestival Sea Art hinein, das mit Interventionen am Strand Wege in die Zukunft zeigen will
2023 verpasste sich die südkoreanische Stadt Busan einen neuen Marketing-Slogan. Dem vorausgegangen war eine groß angelegte Kampagne unter Beteiligung der Bevölkerung. Gesucht wurde damals ein werbetauglicher Satz, der den Ort als weltoffen und dynamisch anpries, als ein hervorragendes Reiseziel und einen noch besseren Standort zum Leben und Arbeiten.
Am Ende entschied man sich für eine Phrase, die das ebenso selbstbewusst wie schlicht zusammenfasst: "Busan is good". Den weiß-rosafarbenen Schriftzug findet man vor Ort auf Trainingsjacken und anderen Merchandise-Artikeln, und er steht in gut lesbaren dreidimensionalen Buchstaben an verschiedenen öffentlichen Plätzen. Vor dem Hauptbahnhof etwa oder am Eingang zum Strand von Dadaepo im Süden.
Dabei steht es gar nicht mehr so gut um die südkoreanische Küstenstadt. Beziehungsweise um deren Zukunft. Busan, noch zweitgrößte Metropole Südkoreas, schrumpft nämlich. Und zwar sogar für dortige Verhältnisse massiv. An einem durchschnittlichen Tag – so kann man es auf der offiziellen Website nachlesen – sterben 72 Menschen. Es werden aber nur 35 Kinder geboren. Eine Studie des Korea Employment Information Service (KEIS) aus dem vergangenen Jahr stufte Busan offiziell als "vom Aussterben bedroht" ein - ein Novum in dem Land.
Eine Metropole im demografischen Ungleichgewicht
23 Prozent der Bevölkerung sind mittlerweile über 65 Jahre alt, gleichzeitig gibt es immer weniger Frauen im gebärfähigen Alter. Das demografische Ungleichgewicht, das so entsteht, wird langfristig nicht mehr auszugleichen sein. Und ökonomisch hat Incheon in der Nähe von Seoul Busan längst eingeholt.
Internationale Schlagzeilen machte die Region zuletzt im Dezember vergangenen Jahres, als dort die UN-Verhandlungen über ein globales Plastikabkommen scheiterten, beziehungsweise auf den nächsten Sommer in Genf vertagt wurden, wo sie wieder ohne Abkommen blieben. So oder so ist Plastik in Südkorea omnipräsent, weil man, wenn man sich nicht gerade sehr viel Mühe gibt, andauernd neues davon produziert; besonders in der warmen Jahreszeit, wenn die Hitze durstig macht und sich leere Plastikflaschen und Becher in den Taschen ansammeln, weil Mülleimer im öffentlichen Raum rar sind.
Beim Sea Art Festival, das Ende September in Busan eröffnete und in diesem Jahr den Strand von Dadaepo im Bezirk Saha-gu bespielt, wirkt all das mit hinein. 2027 wird das Kunstereignis seinen 40. Geburtstag feiern. Gegründet wurde die Open-Air-Ausstellung damals im Vorfeld der olympischen Sommerspiele von Seoul 1988. Die erste Ausgabe war 1987 am Haeundae Beach im touristischen Zentrum der Stadt zu sehen. 1995 wurde das Festival Teil der Busan-Biennale. Das Sea Art Festival findet immer in den ungeraden Jahren statt, die Biennale in den geraden.
Workshops mit überlebensgroßer Bowling-Kugel
Seit 2021 gibt es einen open call, bei dem sich Kuratorinnen und Kuratoren aus aller Welt für die Position der künstlerischen Leitung bewerben können. Dies haben auch die letztlich auserwählten Keumhwa Kim und Bernard Vienat getan, die beide in Berlin leben und bereits zuvor zusammengearbeitet haben. Sie haben viele Künstlerinnen und Künstler an Bord geholt, die sie schon bei früheren Projekten ausgestellt haben, allein oder zu zweit, einige aus Deutschland oder anderen europäischen Ländern.
Lokale und regionale Kunstschaffende kommen dazu – eben das ist bei dem von der Stadt Busan ausgerichteten und unter anderem vom koreanischen Kulturministerium und dem Bezirk geförderten Sea Art Festival geboten. Da ist etwa das aus Busan stammende Kollektiv Omija, bestehend aus vier Künstlern und einem Baumdoktor, deren "Dadaepo Roll", ein großer Ball aus Nesseln, Wurzeln, Reben, Stängeln und Gräsern aus dem lokalen Nakdong-Fluss, von den Dünen aufs Wasser blickt.
Bei einem Workshop im Oktober kann dieser gemeinsam gerollt werden, wie eine übergroße Bowling-Kugel. Denn darum geht es dem Kollektiv: das menschlich Spielerische mit dem Überlebenstrieb von Pflanzen zusammenzubringen, die ihre Samen verteilen. Ins Ensemble der Arbeiten von insgesamt 23 Einzelkünstlerinnen und -künstlern, Duos oder Gruppen passt die "Dadaepo Roll" gut hinein. Die Kunst ist beim Sea Art Festival eine zum Anfassen, die einladend ist, die zumeist mit dem Ort zu tun hat oder lose Anknüpfungspunkte bietet. Man kann sich den Arbeiten ohne Vorwissen nähern, dann aber bestenfalls tiefer einsteigen.
Sandkörner an den Strand tragen
Besonders gut geht das im hinteren Teil des Strandes auf, wo eine Art Parcours aus größeren Skulpturen und Installationen arrangiert wurde. Man kann sich kaum einen besseren Ort für die überdimensionierten Sandkorn-Skulpturen von Jeewi Lee und Phillip C. Reiner vorstellen, die hier wirklich so aussehen, als seien sie aus nassem Sand gebaut.
Immer wieder fand das Festival im Lauf der Jahre in Dadaepo statt. Die Küste dort ist weit und zugänglich genug, um raumgreifende Installationen aufzubauen. Der Ort bietet sich aber auch an, weil er sich in einem undefinierten Dazwischen befindet. Touristinnen verirren sich selten dorthin, zu abgelegen liegt er. In ein paar Buden kann man an Plastiktischen Oktopus-Salat essen, viele Menschen leben nach wie vor von Fischerei. Früher arbeiteten sie auch in der Industrie, die für viele Jahre die Luft verpestete, heute aber zum Großteil abgewickelt ist.
Zweimal schon, so erklärt es Keumhwa Kim, hatte man die hiesige Westküste in Gewerbegelände verwandeln wollen. Ziviles Engagement verhinderte dies jedoch. "Die ökologische Bewegung hat das wirtschaftliche Interesse besiegt. Darauf sind die Leute hier noch immer sehr stolz". Heute ist der Strand vor allem bei Hochzeitspaaren wegen seiner malerischen Sonnenuntergänge und dem feinen Sand, der fast wie Wasser durch die Zehen gleitet, als Kulisse für Fotoshootings beliebt.
Menschgewordene Ausrufezeichen
Der demografische Wandel Busans ist auch hier unübersehbar. Insbesondere unter der Woche sind es die Älteren, die dort barfuß entlang marschieren – Schwimmen ist im Herbst verboten. Dennoch war es für Anna Anderegg nicht leicht, vor Ort ihre Performerinnen zu finden. Für ihr Projekt "Silver Boom" arbeitet die Schweizer Künstlerin an unterschiedlichen Orten der Welt mit Frauen über 60 zusammen. Seniorinnen gibt es eigentlich genug, aber die Altersarmut ist hoch, viele müssen weiterarbeiten und haben keine Zeit, sich für die Proben in der Woche vor der Eröffnung zu verpflichten.
Neun Damen fanden sich schließlich zusammen. Während des Eröffnungswochenendes konnte man sie täglich live beobachten und auf einer kurzen U-Bahnfahrt von Dadaepo Harbour nach Dadaepo Beach begleiten, zusehen, wie sie sich durch die Gänge und über die Treppen bewegten, Säulen umarmten, sich auf Treppen platzierten wie menschgewordene Ausrufezeichen, theatralisch, aber stumm.
Zu hören waren währenddessen autobiografische Geschichten, eigene und die von anderen, in unterschiedlichen Sprachen. Geschichten über ungleiche Erziehungsstile, Anerkennung und Nichtanerkennung, den Druck, attraktiv für den männlichen Blick sein zu müssen und über das Unsichtbarwerden. Berührend war das für die Performenden wie das Publikum. Wer es verpasst hat, muss im weiteren Verlauf mit einem Video Andereggs vorliebnehmen. Die Zweikanal-Installation zeigt außerdem faltige Haut in Großaufnahme. Wer hat noch mal behauptet, dass die nicht schön sein kann?
Diskussionen und Emissionen
Dem Plastikmüll begegnet man dann weit hinten im Parcours, wo Mathias Kessler und Ahmet Civelek einen riesigen, von Hand gewebten Kunststoffteppich aufgespannt haben. Wie ein Segel bewegt er sich - und ist fast zu schön für das, was er repräsentiert. Am anderen Ende des Strandes hat das Duo Plastique Fantastique eine Art Einzeller aus einer aufblasbaren Polyurethan-Schicht mit einem Kern aus biologisch abbaubarem Material aufgebaut.
Einen Schwerpunkt auf Umwelt-, insbesondere meeresökologische Themen hatte das Sea Art Festival schon immer. Das ist naheliegend - ebenso aber die Frage, die man sich spätestens angesichts der vielen Flugzeuge stellt, die immer wieder den Himmel über dem Strand kreuzen: Ist es sinnvoll, Künstlerinnen und Kunstwerke aus Europa einzufliegen, die am anderen Ende der Welt auf die Gefahren der Klimakrise aufmerksam machen sollen?
Das kuratorische Duo Bernard Vienat und Keumhwa Kim ist auf die Frage vorbereitet. Immer wieder käme diese auf, sagt Vienat. Wichtig findet er das. "Man muss aber auch fragen, inwieweit die durch diese CO₂-Emissionen, die übrigens genau gemessen werden können, ausgelöste Diskussionen dazu beitragen können, einen Austausch anzuregen, grundlegende Fragen zu stellen und eine lokale und globale Debatte zu ermöglichen. In einer Zeit, in der wir ein grundlegendes Bedürfnis haben, den Multilateralismus zu verteidigen und das Verständnis zwischen Kulturen und Menschen im Allgemeinen zu fördern, verdienen solche Möglichkeitsräume eine Form des Kompromisses."
Zoomen für die Energiebilanz
Außerdem seien sich viele Akteurinnen und Akteure im Kulturbereich im Vergleich zu anderen Wirtschaftssektoren dieser Auswirkungen sehr bewusst - und bemühten sich, sie so gering wie möglich zu halten. "Wir sprechen hier nicht von bestimmten Geschäftsreisen oder Massentourismus am anderen Ende der Welt. Das ist eine andere Diskussion, die es verdient, thematisiert zu werden. Visionäre wie Jean-Marc Jancovici plädieren für maximal vier Flüge pro Leben, und das kann inspirierend sein."
Tatsächlich wurde bei der Realisation der Ausstellung sogar ziemlich viel CO₂ vermieden. Absprachen wurden per Zoom getroffen, was manches verkomplizierte, aber am Ende meist doch aufging. Manche der Künstlerinnen und Künstler verbanden die Installationszeit in Korea mit ohnehin geplanten Aufenthalten in der Region. Produziert wurde vor Ort – bei den meisten Exponaten handelt es sich um neue Arbeiten –, damit möglichst wenig verschifft werden musste. So wurde auch Zusammenarbeit mit Menschen vor Ort, mit Handwerksbetrieben, Werkstätten und Forschungseinrichtungen ermöglicht.
Olaf Holzapfel arbeitete für seine Reisstroh-Installation "In the middle of the dunes, the path is blurred, but there is a beautiful view of what we can be" mit einer Busaner Schreinerei zusammen. Antje Majewski holte sich Studierende der Pusan National University und einen Paläontologen ins Team. Die Teilnehmenden ließ sie Urzeit-Tiere zeichnen und voneinander nachahmen und fügte diese Skizzen zu einer Animation zusammen, die von der Evolution durch Kopien von Kopien von Kopien erzählt.
Vögel statt Touristen
Marco Barotti holte sich für seine Installation "Sonic Drift" Unterstützung vom Korea Institute of Ocean Science and Technology. Mit dessen Daten entwickelte er eine Soundlandschaft, in der sich bioakustische Unterwasserklänge mit dem koreanischen Fischerlied "Hurisori" verbinden – und die von direkt vor Ort gewonnener Solarenergie betrieben wird.
Sangdon Kims schon von weitem glitzernde goldene Skulptur braucht hingegen Bewegungsenergie. Sie dreht sich, wenn man sie anstößt. "Egg and Lighthouse" heißt sie - und ist genau das. Zusammengebaut aus Fresnel-Linsen, wie man sie von Leuchttürmen kennt, Glocken, Spiegeln und Stahl, hat sie die Form eines Eis, das im koreanischen Schamanismus für Transformation steht.
Um Veränderung geht es auch der Stadt Busan, für die das Sea Art Festival zumindest indirekt in eine Entwicklungsstrategie für den Bezirk hineinspielt. Aus einer Verbrennungsanlage – erbaut 1998, stillgelegt 2013 – soll bald ein maritimes Hotelresort entstehen. Dadaepos Zukunft könnte eine touristische sein. Bis es so weit ist, hat sich ein Vogel eingenistet. Hyong-Seob Cho hat im ehemaligen Pförtnerhäuschen ein Hotelzimmer eingerichtet, in dem man sich auf dem Fernseher ein Video ansehen kann, in dem jenes geflügelte Tier die verlassene Anlage durchstreift.
Man hätte sich etwas mehr Reibung gewünscht
In dieser Ausstellung schmiegt sich die Kunst ein, vielleicht sogar ein bisschen zu sehr. Etwas mehr Reibung hätte man sich gewünscht. Die Kunst wird Teil der Architektur und der Landschaft, der Struktur des Strandes, fügt sich ins Ensemble von Kinderspielplatz, Toilettenanlagen, Hundeschule und Sitzgelegenheiten ein, schafft kleine Schattenzonen gegen die auch im Herbst noch intensive Sonneneinstrahlung. So etwa Raul Walch mit einem aus Bambus und Stoffen gefertigten Pavillon mit einem Wetterhahn-ähnlichen Metallvogel an der Spitze.
Viel Neugierde bei den Einheimischen weckte auch die Wiederbelebung des Molwoon Coffeeshops, einem seit 15 Jahren leerstehendem Café, das wie eine Zeitkapsel wirkt. Mit im Wind flatternden, mit Fischen bedruckten Textilien und Wasserdampf ausstoßenden Sitzgruppen hat Viron Erol Vert das halb zerfallene Gebäude in einen noch magischeren Ort verwandelt.
Am Ende des letzten Panels am Eröffnungswochenende, das eben dort stattfindet, meldet sich eine Frau. Sie erzählt, dass sie in Dadaepo aufgewachsen sei, dort die Grundschule besucht habe, noch bevor die hohen Apartmentkomplexe gebaut wurden, die jetzt gegenüber der Küste in die Landschaft ragen.
Was bleibt, wenn die Kunst weg ist?
Einmal im Monat hätten sie damals den Strand von Plastikmüll gereinigt. Doch weil es zu jener Zeit kaum solchen gegeben habe, sei es eine Gelegenheit gewesen, im Sand zu spielen. Heute will sie wissen, was bleiben wird von der Kunstintervention, wenn die Ausstellung vorbei ist, wenn die Installationen nach 37 Tagen Laufzeit wieder abgebaut werden.
Wahrscheinlich kann es keine andere Antwort geben als jene, die Vienat darauf gibt, auch wenn diese ziemlich nach Kuratoren-Floskel klingt. Er verweist auf die Gelegenheiten, ins Gespräch zu kommen, vom Austausch von Ideen. Ein Anfang könnte das immerhin sein. Die Ausstellung kann noch bis zum 2. November kostenlos besucht werden.