Galerieporträt Soy Capitán / Gallery Weekend Journal

Erschienen im Gallery Weekend Journal am 17. September 2021 – online

Auf der Liste der Berliner Galerien mit den ungewöhnlichsten Namen ist die von Heike Tosun zweifellos weit vorne anzufinden. Sehr spontan, so erzählt sie es heute, hatte Tosun 2011 ihre ersten eigenen Räume in der Neuköllner Friedelstraße angemietet. Wie ihre Galerie heißen sollte, wusste sie da noch nicht, nur dass diese nicht ihren Namen tragen sollte: „Galerie Heike Tosun klingt bis heute nicht gut“. Besser gefiel ihr „Soy Capitán“ – ein Zitat aus dem Song „La Bamba“, denn das passte: zu der Tatsache, dass Tosun nach Jahren als Mitarbeiterin in anderen Galerien endlich selbst am Steuer stand und zu den beengten Verhältnissen in der Friedelstraße, wo sogar ihr Schreibtisch angeschrägt werden musste. Ein „schönes Korsett“ seien diese gewesen. Es half ihr dabei, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, denn dass das meist besser sei als sich in Details zu verlieren, davon ist die Galeristin nach wie vor überzeugt: „Man kann den kompletten Inhalt eines Ateliers zeigen, ohne irgendetwas zu sagen – oder man reduziert und reduziert bis der Kerngedanke sichtbar wird.“

In der ersten Ausstellung von Soy Capitán stellte Tosun Arbeiten Shahin Afrassiabis Fotografien von Miroslav Tichy gegenüber, Afrassiabis herangezoomte Auszüge aus Google Street View, den Aufnahmen von Frauen, die Tichy in den 1960er bis 1990er Jahren heimlich bei Streifzügen durch das tschechische Kyjov machte. Nur aus neun Arbeiten bestand die Ausstellung, sei aber „so sehr auf den Punkt“ gewesen, dass sie die Bilder davon noch immer gerne anschaue. Kurze Zeit später verwandelte Klara Hobza die Galerie mit ihrer eigenwilligen Kunst und vor allem ihrer Vorstellungskraft in ein Morselabor und funkte daraus in die Neuköllner Nacht.

Sowohl Afrassiabi als auch Hobza sind noch heute im Programm von Soy Capitán. Auch Eli Cortiñas, Matthias Dornfeld und Benja Sachau kamen schon früh, im Laufe der ersten beiden Jahre, an Bord. Dass sie nicht gleich mit einer fertigen Liste an Künstlerinnen und Künstlern an den Start ging, fällt unter das, was Tosun „gesundes Wachstum“ nennt, ebenso der Umzug in die Kreuzberger Prinzessinnenstraße im Jahr 2013, wo die Galerie seither in einem Hinterhof nahe des Moritzplatzes logiert.

Mittlerweile vertritt Soy Capitán auch die Künstlerinnen Grace Weaver, Camilla Steinum und Paloma Proudfoot – mehr Frauen als Männer, nicht aus Prinzip, sondern – so begründet sie es selbst – weil sie starke Frauenpersönlichkeiten anzögen. Solche wie die US-amerikanische Malerin Grace Weaver, die 2015 mit erst 25 Jahren ihre erste Einzelausstellung bei Soy Capitán hatte. Eine Herausforderung war das für beide Seiten; Weaver malte die Arbeiten für „Skinny Latte“ – zuckersüße, anmutig-ironische „Allegorien des Alltags“ nicht nur für die Generation der Digital Natives – letztlich in den Galerieräumen während der Sommerpause.

Auch das gehört eben zum Erfolgsrezept von Soy Capitán: die Offenheit für unkonventionelle Lösungen und spontane Einfälle, aber auch die partnerschaftliche Beziehung zwischen den Künstlerinnen und Künstlern und der Galeristin.

Beate SchederGWB