Amano Amano

Galerietext zur Ausstellung von Timo Seber. Im Auftrag von Tobias Naehring

Otto: So, you like animals, Ken. What's the attraction?

Ken: You can trust them, and they don't sh-sh-sh-

Otto: Shit on you?

Ken: ... Shove off.

(A fish called Wanda)

 

 

In den 1970er Jahren begann der japanische Radrennfahrer und Landschaftsfotograf Takashi Amano (1954-2015), eine neuartige Gestaltungsweise von Aquarien zu entwickeln. Anders als in der klassischen Aquaristik spielen in Amanos Wasserlandschaften Fische nur eine untergeordnete Rolle. Hauptaugenmerk liegt vielmehr auf der ästhetischen Gesamtkomposition von Flora, Fauna und Gestein. Nach dem Vorbild realer Landschaften, die Amano in West-Afrika, am Amazonas oder auf Borneo mit der Kamera festhielt, platzierte er Wasserpflanzen zwischen bis ins letzte Detail ausgeklügelten Arrangements aus Holz, Steinen und Sand. Mit seiner Idee traf er einen Nerv. 1982 gründete Amano die Firma Aqua Design Amano für High-End-Aquarienprodukte, ein mittlerweile weltweit operierendes Unternehmen.

 

Die Naturaquarien Amanos sind der Ausgangspunkt der dritten Einzelausstellung von Timo Seber (geboren 1984 in Köln, lebt und arbeitet in Berlin) in der Galerie Tobias Naehring. Seber sieht in ihnen utopische Räume, Modelle einer besseren, schöneren Welt. Tatsächlich imitieren die Aquarien die Natur nämlich nicht bloß, sie übertreffen diese noch. Die Tiere und Pflanzen, die darin aufeinander treffen, wären sich in realen Gewässern nie begegnet. Sie bilden künstliche Ökosysteme, die nur mittels chemischer Zusätze im Gleichgewicht gehalten werden können. Sind zu viele Nährstoffe im Becken, wachsen Algen, sind es zu wenige, sterben die Tiere. Der Name Naturaquarien führt also in die Irre. Nichts an ihnen ist natürlich, alles ist arrangiert. „Creating Nature“, hat Takashi Amano 2012 dem Wall Street Journal gesagt, „is the ultimative luxury“. Die Haltung eines Naturaquariums erfordert nicht nur teures Equipment, sondern vor allem viel Zeit, Konzentration und Geduld.

 

Wie schon in vorherigen Arbeiten, in denen sich Seber etwa mit dem Computerspiel Dota beschäftigte, lenkt er in „Amano Amano“ den Blick auf ein Paralleluniversum, einen vermeintlichen Freiraum mit integriertem Kippmoment: Aus der meditativen Beschäftigung mit anmutigen Fischen und sattgrünen Pflanzen wird ein mühseliger Kampf gegen die Natur, eine Obsession.

 

Sechs bedruckte Spiegel hat Seber an die Wände der Galerie gehängt. Sie zeigen grob gerasterte Schwarzweißfotografien von Naturaquarien Amanos. In ihrer feinen Komposition könnten die Motive es mit der traditionellen japanischen Landschaftsmalerei Sansui-ga aufnehmen. Seber hat dennoch mit roter Eddingfarbe einige Stellen markiert, als gäbe es etwas daran auszusetzen. Fehlt da noch etwas? Ist dort etwas zu viel? Wahre Perfektion bleibt eben immer unerreichbar.

 

Wie ja auch bei uns selbst. Den Optimierungsgedanken auf den menschlichen Körper zu übertragen, liegt nahe, gerade weil dieser bei Timo Seber einmal mehr nur subtil angedeutet wird; in den Spiegeln, in denen die Betrachter_innen sich selbst gegenüberstehen und in den Objekten, die Timo Seber dazwischen aufgebaut hat: Auf Sockeln aus Unterdruckglashebern und Glasscheiben, zwischen denen einzelne Wasserpflanzen und Latexhandschuhe eingeklemmt sind, stehen Soft-Drink-Flaschen. Es handelt sich um Coca-Cola Zero Sugar, dem mit japanisch anmutender Sonnenscheibe im Logo neu gebrandeten Nachfolgeprodukt von Coke Zero. Das Re-Design schmiegt sich ins Bild: schwerelose Zen-Optik für das natürlich künstlich verbesserte Getränk des achtsamen Fitnessfreaks, zuckersüß, aber zuckerfrei, mit Suchtfaktor, aber ohne Gefahr für die (Kalorien-)Balance.

 

Die Objekte lassen sich wie dekonstruierte Aquarien betrachten. Nur die Fische haben sich anscheinend doch aus dem Staub gemacht und uns allein zurücklassen im Geflecht der Erwartungen und Sehnsüchte, im Wirrwarr von Optimismus und Obsession.

 

Timo Seber (geboren 1984, Köln) lebt und arbeitet in Berlin. Einzelausstellungen von ihm fanden u. a. statt im Ludwig Forum (Aachen, 2016), GAK – Gesellschaft für aktuelle Kunst (Bremen, 2015), Bonner Kunstverein (Bonn, 2013), Gruppenausstellungen u. a. nGbK – neue Gesellschaft für bildende Kunst (Berlin, 2016), Kunsthaus NRW (Kornelimünster, 2016), Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Bonn, 2010).