Verweile doch, du bist so schön: studio karhard im Porträt

Erschienen in Berliner Zeitung 27./ 28. April – online

Das KaDeWe lässt seine Feinkostabteilung von zwei Berliner Architekten umgestalten, die durch einen ganz anderen Ort berühmt geworden sind – das Berghain. Club und Kaufhaus haben mehr gemeinsam, als man denkt

Dreieinhalb Stunden. Diese Zahl hat der frühere Geschäftsführer Ulrich Schmidt vor vielen Jahren mal in die Welt gesetzt. Dreieinhalb Stunden, so lange sollen sich Kunden im größten Kaufhaus Kontinentaleuropas im Schnitt aufhalten, durchs Haus schlendern, sich neu einkleiden, an Parfums schnuppern, Schuhe anprobieren – und sich von all dem bei einem Glas Champagner und ein paar Austern in der Feinschmeckerabteilung erholen. Oder bei Bouletten und Bier. Oder bei Kaffee und Kuchen. Es ist eine ganz einfache Rechnung: Je länger die Kunden bleiben, desto mehr Geld geben sie aus.

Bei den dreieinhalb Stunden handelt es sich um keine offizielle Angabe des KaDeWe. Das KaDeWe überwacht seine Kundschaft nicht. Eigentlich ist der Zahl nicht zu trauen, doch je länger man darüber nachdenkt, desto überzeugender ist sie. Das KaDeWe gehört zu den Adressen, an denen man länger bleibt als geplant, es ist ein Ich-wollte-doch-nur-mal-eben-und-dann-sind-Stunden-rum-Ort, das haben die Gestalter des Kaufhauses schon immer geschickt hinbekommen. An jeder Ecke lauert eine neue Versuchung und lässt die Zeit vergessen.

Was das betrifft, gibt es in Berlin nur einen weiteren Ort, der es mit dem KaDeWe aufnehmen kann, wenn auch auf völlig andere Weise: das Berghain. Was im KaDeWe die dreieinhalb Stunden sein mögen, sind dort schonmal drei Tage. So gesehen ist es eigentlich nur logisch, dass im Rahmen der Umgestaltung der Feinschmeckeretage des KaDeWe die Architekten beauftragt wurden, die 2003 das alte Heizwerk am Wriezener Bahnhof in Friedrichshain zum Berghain umgebaut haben: Thomas Karsten und Alexandra Erhard.

Norman Plattner, seiner offiziellen Jobbezeichnung nach Head of Store Design der KaDeWe Group, mag noch so heftig den Kopf schütteln, um zu bekräftigen, dass das KaDeWe die beiden nicht ausgewählt habe, weil diese das Berghain gemacht hatten. Es passt einfach zu gut.

Und so gibt Plattner natürlich doch zu, dass es durchaus Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Berliner Wahrzeichen gibt: „Das KaDeWe und das Berghain sind beide Institutionen der Stadt, die für einen Mix aus Lokalität und Internationalität stehen“, sagt er.

Wenn man will, fallen einem natürlich noch mehr Parallelen ein: Rausch. Hedonismus. Konsum. Dass beides Orte sind, die nicht viel dafür tun müssen, dass Besucher kommen. Die einfach nur so sein müssen, wie sie sind. Und genau das ist vielleicht die Kunst.

ALEXANDRA ERHARD UND THOMAS KARSTEN WOHNEN UND ARBEITEN am Schlesischen Tor. Ihr studio karhard hat mehrere Mitarbeiter. Beide sind Anfang fünfzig und auch privat ein Paar. Wenn man die beiden danach fragt, wie es dazu kam, dass sie erst einen Technotempel erschufen und jetzt einen Konsumtempel umgestalten, sagen sie: „Das Berghain ist für uns inzwischen zu einem Türöffner geworden, aber es hat lange gedauert, bis es soweit war.“

Warum, liegt auf der Hand. Wer das Wochenende in dem einst weltbesten Club verbringt, muss am Montag danach erstmal die Aufkleber von den Kameralinsen seines Handys kratzen, die das Sicherheitspersonal dort verteilt: Vom Inneren des Berghains gibt es also so gut wie keine Fotos. Die Bilder, die karhard auf ihre Website gestellt haben, sind die einzigen. Mit einem Projekt zu werben, dass niemand außer ihnen zeigen darf – schwierig.

Ohnehin wäre es unfair, karhard nur mit dem Berghain zu verbinden. Clubs haben sie etliche gestaltet: das Pacha in München zum Beispiel, das Asphalt am Berliner Gendarmenmarkt, das mittlerweile Bricks heißt, das Untertage am Mehringdamm, außerdem Wohnungen, Friseursalons, eine Bäckerei, einen Optiker, Arztpraxen, Restaurants, Bars.

„Sobald Emotionen ins Spiel kommen, ist es für uns spannend“, sagt Thomas Karsten. „Ein Hotel wäre noch interessant“, fügt Alexandra Erhard hinzu. Momentan arbeiten sie gerade wieder an einem Clubumbau, der viel ihrer Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, dieses Mal in Kiew. Für karhard ist das eine willkommene Abwechslung, die aber ihre Herausforderungen mit sich bringt. Die Architekten arbeiten in der Regelmit lokalen Handwerkern und Herstellern von Baumaterial zusammen, in Kiew kennen sie noch niemanden.

In ihrem Kreuzberger Büro haben ihre Projekte ihre Spuren hinterlassen, zum Beispiel in Form von Stühlen oder Hockern. Die probieren sie immer vorher selbst aus, bevor sie sie in einen Raum stellen. Thomas Karsten dreht sich um und zeigt auf einen zierlichen Kaffeehausstuhl aus hellem Holz mit brauner Lederumspannung an der Lehne: „Den findet man imKartoffelacker.“

Beim Kartoffelacker handelt es sich um eines von mehreren gastronomischen Angeboten in der Feinschmeckeretage des KaDeWe. Mit dem Kaufhaus begaben sich karhard auf neues Terrain.„Die Größe, die Komplexität und Vielschichtigkeit der Anforderungen waren für uns eine herausfordernde Aufgabe“, sagt Thomas Karsten. Im Spätsommer 2016 hatte das KaDeWe karhard angerufen. Die Architektenmussten nicht groß überredet werden.„Als jemand, der das Haus kennt und mag, hat man doch selber schon gedacht, dass da dringend was passieren muss.“ Wohlwollend könnte man der Feinschmeckeretage, wie sie früher aussah und auf den bisher nicht umgebauten Quadranten noch aussieht, den urigen Charme des alten Westberlins zuerkennen. Viele der Theken haben ihre besten Jahre hinter sich. Das Ensemble wirkt unübersichtlich, zu voll gestellt und mit den niedrigen Decken bedrückend.

STATT EINES BRIEFINGS STAND AM ANFANG ALSO EIN BEGRIFF, der sich als roter Faden durch den Quadranten – so heißen die einzelnen Flächen im Kaufhaus – ziehen sollte: „Berlin Elegance“. Es sagt viel über karhards Art zu denken und ihre Arbeitsweise, wenn man sich anschaut, was sich die beiden dazu notiert haben. Berlin Elegance, das verkörpern für karhard Sven Marquardt, der legendäre Türsteher im Berghain, und Eva Padberg, das Model. Unter den beiden Namen steht „Schnauze mit Herz“ und„Barfuß oder Lackschuh“.

Noch aufschlussreicher ist ein Blick in karhards Materialraum. „Es gibt eigentlich kein Projekt, wo das Material nicht im Fokus steht“, sagt Thomas Karsten. „Viele Projekte fangen mit einer Collage an, mit der wir uns Gedanken machen, welche Materialien da passend sein könnten.“

Gibt es typische karhard-Materialien? „Ja, die gibt es“, sagt Erhard und dann werfen sich die beiden die Begriffe zu: Stahl – Buntmetalle – Stein – Asphalt. Eher nichts, was hochindustriell verarbeitet wurde wie Laminat oder Kunststoff, lieber das Pure, Rohe, Echte.

Im Falle des Quadranten, der im vergangenen Dezember eröffnet wurde, arbeiteten sie mit Messing und verwendeten für die Terrazzo-Böden heimische Flusssande. Beides sind Zitate der ursprünglichen Gestaltung der Lebensmittelabteilung des KaDeWe, die in den 20er-Jahren in die sechste Etage verlegtund dort mit Gastronomie kombiniert wurde – womit das KaDeWe Pionier war.

Das alles konnte karhard frei entscheiden, nur ein paar Sachen standen vorab fest, etwa dass eine gut besuchte Champagnerbar bestehen bleiben soll und eben der Kartoffelacker, der vielleicht beliebteste und demokratischste Essensstand im KaDeWe, wo man satt wird, ohne ein Vermögen auszugeben. Ehrliche Backkartoffeln und teures Blubberwasser. Das Spektrum des KaDeWe umfasst beides.

Jetzt sieht dort alles aufgeräumter, zeitgemäßer, edler und gleichzeitig jünger aus. Das gefällt den einen, anderen vielleicht aber auch nicht. Nicht jeder treue Kunde mag Veränderungen. Norman Plattner vom KaDeWe sieht jedoch auch in den Beschwerden Positives: „Im Grunde zeugen die langen Briefe und E-Mails, die wir bekommen, auch davon, dass wir Stammkunden haben, die sich intensiv mit uns auseinandersetzen.“

Geht man durch die neu gestalteten Gänge, vorbei am riesigen Wein-Humidor, am Käsestand, den Bars, Restaurants und dem Späti – einer Idee von karhard, denn was passt besser zu Berlin? – scheinen aber alle recht zufrieden. Das muss jetzt auch noch beim zweiten Quadranten klappen, den studio karhard für die Sechste entworfen haben. Die Umgestaltung der rund 2 000 Quadratmeter, auf denen es mit Süßwaren, Kaffee und Patisserie etwas verspielter zugehen soll, ist bis Ende des Jahres geplant.