Seite 3 zu Henrike Naumann: Woher kommt der Hass?

Erschienen in Berliner Zeitung am 14. April 2016 – online

Beinahe hatte man ihn vergessen, den Zonk, dieses vielleicht fieseste aller Kuscheltiere. In den Neunzigerjahren war die knopfäugige, rot-graue Plüschmaus der Trostpreis in der Sat.1-Sendung „Geh aufs Ganze!“, Inbegriff einer Verheißung, die in sich zusammenschnurrt wie ein angepikster Luftballon. Man muss sich das einmal vorstellen: Da hat man es ins Fernsehen geschafft, steht mit dem Moderator vor drei Toren, hinter denen sich vermeintlich Traumreisen, Motorräder, Sportwagen oder Bargeld verbergen, und dann verbirgt sich hinter der, für die man sich entscheidet, nur diese blöde Maus.

Die Sendung gibt es längst nicht mehr, der Zonk hat es sich stattdessen auf einem Sofa in der Galerie Wedding gemütlich gemacht. Henrike Naumann, die Künstlerin, die dort in der Müllerstraße ausstellt, nimmt ihn hoch und streicht mit der Hand über seinen haarigen Bauch. „Der Zonk hat alles“, sagt sie. „Für mich ist er eine Schlüsselfigur, sitzt hier einfach, weckt bei jedem Emotionen und wenn man darüber nachdenkt, öffnen sich weitere Bedeutungsebenen, verbunden mit den nichteingelösten Versprechen, für die er steht.“

„Aufbau Ost“ hat Naumann ihre Einzelausstellung genannt. Auch das klingt nach enttäuschten Hoffnungen. Hoffnungen auf Wohlstand und Freiheit, die Ostdeutsche an die Wiedervereinigung knüpften, und die dann doch nicht einfach so kamen, stattdessen aber der Neoliberalismus mit voller Wucht. Naumann, geboren 1984 in Zwickau, erzählt in ihrer Kunst davon, wie aus Enttäuschung und Entwurzelung Gewalt und Hass erwuchsen, über Zusammenhänge von Jugendkulturen und Extremismus, über Neonazis und Islamisten, über die NSU und Deso Dogg, den Kreuzberger Ex-Gangsterrapper und Dschihadisten, und das auf denkbar ungewöhnliche Art und Weise: mit Möbeln und Objekten, in die sie ihre Audio- und Videoarbeiten eingebaut hat.

VEB-Hocker und Sofas von Ikea

Die Installation erinnert an die absurden Aufbauten der großen Möbelhäuser auf der grünen Wiese; die Auswahl der Stücke hat Naumann, die zunächst in Dresden Bühnenbild, später in Potsdam Szenografie studierte, dem ostdeutschen Jugendzimmer der Neunziger nachempfunden. Was man da eben so hatte: VEB-Hocker und Bettsofas von Ikea. Pressspantische und Sessel in Pastelltönen. Die Eltern kauften Westware fürs Wohnzimmer, die DDR-Möbel wanderten ins Jugendzimmer, wo sie mit knallbunten Stücken aus der Abteilung „Junges Wohnen“ kombiniert wurden.

„DDR-Wohnungen waren immer restlos voll gestellt gewesen“, schrieb Jana Hensel 2002 in ihrem Buch „Zonenkinder“. Im vereinigten Deutschland kam dann eben einfach noch ein wenig mehr dazu, Farben und Dekoratives, kitschige Kerzen, Teppichböden mit wilden Mustern, Stehlampen mit Schirm in Glühbirnenform, Wecker wie von Dalí gemalt, überdimensionierte Casio-Armbanduhren für die Wand oder Harlekine aus Porzellan. All das hat Naumann zusammengetragen, in ihrer sächsischen Heimat oder über Ebay-Kleinanzeigen. Wieso? Möbel repräsentierten gesellschaftliche Strukturen, sagt sie – und dass Ästhetik ihr Rettungsanker sei, ein Umweg, um über Politisches zu sprechen.

Allzu behaglich sind Naumanns Jugendzimmer nämlich nicht. Die Stellwände der Audio-Nischen bilden im Grundriss ein Hakenkreuz, auf der Strukturtapete kleben Wandtattoos, auf denen „Wir sind das Volk“ in Frakturschrift steht oder die ersten Zeilen des Vaterlandslieds von Ernst Moritz Arndt, „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte“. Das größte Motiv zeigt einen Reichsadler mit DDR-Emblem. Auf Ebay kann man die so kaufen.

Die Künstlerin trägt eine hochgeschnittene Jeans von Calvin Klein, in die sie ein schwarzes T-Shirt gestopft hat. Auf dem Foto auf ihrer Website hat sie eine Bomberjacke an. Optisch könnte Naumann fast als Neunzigerjahre-Hooligan durchgehen, wären da nicht dieses warmherzige Lächeln, die offene Art, mit der sie ihr Gegenüber im Gespräch bisweilen leicht an den Arm fasst, und die ironischen Details wie das Logoshirt der Zigarettenmarke „West“ bei der Ausstellungseröffnung. Man kann diesen Look, der seit einiger Zeit unter Berliner Cool-Kids angesagt ist, an ihr irritierend finden oder auch konsequent. Er passt zu ihrem Spiel um Ästhetik und Aneignung.

Als Kind habe sie die Deutsche Einheit als etwas unheimlich Positives empfunden, erzählt Naumann. „Plötzlich gab es Barbies, plötzlich gab es Rosa, plötzlich gab es Alf im Fernsehen.“ Sie bekam mit, wie ihre Eltern in einer Mischung aus Euphorie und Überforderung auf das Neue reagierten – und dann, wie sich Jugendliche auf der Suche nach Orientierung radikalisierten. „Da, wo ich herkomme, war man entweder rechts oder links und musste sich auch so positionieren.“ Anfang der Neunziger rasierten sich die älteren Jungs aus dem Dorf bei Zwickau, in dem Naumann aufwuchs, die Köpfe. Bomberjacken und Springerstiefel wurden zur Uniform des rechten Mainstreams. Als sie selbst Teenager wurde, rückte der noch näher. Rechtsextrem zu sein, wurde für viele aus ihrer Grundschulklasse zum Modell, um ernst genommen zu werden, um dazuzugehören.

Und sie selbst? Arbeitete im Jugendclub mit und glaubte daran, dass man den anderen einfach nur „Schindlers Liste“ zeigen müsste, um ihnen die Augen zu öffnen. Klappte natürlich nicht. Gekommen seien sie zwar, aber mit Landser-Kassetten im Gepäck und einbetonierten Argumenten im Kopf. Wenn Naumann von ihrer Jugend in Sachsen erzählt, klingt das so abgeklärt, wie man es von vielen mit ähnlicher Biografie kennt. Ja, die Nazis lösten jede Party auf, ja, die Polizei gab ihnen immer Mitschuld, nein, ein Klima der Angst war das nicht. Nach der Schule zog Naumann weg und hakte das Thema für sich ab. „Neonazis sind total Neunzigerjahre“, dachte sie. War es denn so? „Nein. Ich wollte es nur nicht sehen.“ Bis vor bald viereinhalb Jahren. Naumann besuchte gerade ihre Großmutter in Zwickau, als sie am 4. November 2011 im Radio meldeten, ein Haus sei explodiert, in der Frühlingsstraße, gar nicht weit entfernt. Die Entdeckung der NSU war auch für Naumann ein Schock.

Da lag es nahe, die Geschichte der Rechtsterroristen zum Thema ihrer Abschlussarbeit an der Filmhochschule zu machen. „Triangular Stories“ besteht aus zwei Videoarbeiten, die parallel gezeigt werden, zwei Fake-Homevideos auf VHS, abgespielt in Teilen des Filmsets. Es geht zurück ins Jahr 1992, das Jahr mit den meisten rechtsextremen Übergriffen in Deutschland. Ein Video zeigt die drei bekannten Mitglieder des NSU – Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt – beim Randalieren, das andere drei andere Jugendliche beim Drogenkonsum auf Ibiza. Die Gegenüberstellung ist auch eine Selbstkritik. Die Flucht ins Unpolitische, in den Hedonismus stellt Henrike Naumann ebenfalls als Form des Extremismus dar, der für das Erstarken des anderen mitverantwortlich ist.

War es in den Neunzigerjahren schlimmer als heute, wo wieder Asylbewerberunterkünfte brennen? Sehr ähnlich sei es, sagt sie und dass man zurückblicken müsse, um Muster zu erkennen. Auch ins Jahr 1989. Von da stammt das Foto von DDR-Flüchtlingen im bayrischen Hof, aus dem Naumann ein Puzzle anfertigen ließ, an dem sich die Besucher versuchen können.

Ihre jüngeren Arbeiten verweisen auf die aggressiven Strömungen der Gegenwart und komplexe Zusammenhänge: In einer Audio-Arbeit verarbeitet die Künstlerin IS-Rekrutierungsvideos des Berliners Denis Cuspert aka Deso Dogg. Ein geschlossener Raum ist der Wohnung einer ehemaligen Schulkameradin Naumanns nachempfunden, einer alleinerziehenden Mutter, die ihre Parolen mit der Sorge um ihr Kind rechtfertigt. Auf die Sofakissen sind Bilder gedruckt, die Naumann auf rechten Facebook-Profilen gefunden hat, öffentlich sichtbar. Ein ganzes Archiv davon hat sie, es läuft im Loop auf einem der Fernseher im Hauptraum.

Viel hätten sie darüber diskutiert, ob sie nicht hinschreiben sollten, dass es sich um eine kritische Kunstausstellung handle, nicht um ein Reenactment der Neonaziszene, sagt die Kuratorin Solvej Helweg Ovesen. Nein, das müsse so sein, es müsse irritieren, hätte Naumann dann stets geantwortet.

Das Hakenkreuz am Leopoldplatz

Jetzt staunt sie selbst über das „große Hakenkreuz am Leopoldplatz“, das sie da aufgebaut hat und wundert sich, dass es auf die Leute teilweise doch subtiler als erwartet wirkt. Vorhin noch hatte einer von denen, die ihre Tage auf dem Platz vorm Rathaus verbringen, an die Scheibe geklopft. Er hatte angeboten, eine Nacht in der Ausstellung zu verbringen, und der Künstlerin ein Stück Pappe mit seiner Telefonnummer darauf gereicht.

„Meine Hoffnung ist, dass die Leute weniger Hemmungen haben, hereinzukommen“, sagt Naumann. Tatsächlich war es bei der Eröffnung und an den Tagen danach voller denn je in der Galerie. Die Ausstellung – sie ist noch bis zum 14. Mai zu sehen – soll ein Diskursraum für alle sein, zu Themen, die in der Kunst sonst nicht stattfinden. Antworten wird man indes keine finden, Henrike Naumann hat selbst keine.