Porträt über Hito Steyerl: Glänzend reflektiert

Erschienen in WIRED im Mai 2015

Hito Steyerl ist die Tech-Philosophin unter den Künstlern. Auf der Biennale in Venedig bittet sie nun Youtube zum Tanz

Im Deutschen Pavillon in Venedig tanzt ein Youtube-Star. Nicht leibhaftig, sondern in einem Video natürlich. Der Mann ist um die 30 und lebt in Australien, man kennt nur seinen Vornamen, Mike heißt er und benutzt im Netz verschiedene Pseudonyme, je nach Tanzstil: TakeSomeCrime,Forsythe, Odd, Guile. In seinen Videos macht Mike den Fliesenboden seines Schlafzimmers zur Tanzfläche. Im Hintergrund sieht man einen Ikea-Kleiderschrank und ein ungemachtes Bett, davor Mike, der zum Beat der Musik Rumpf und Gliedmaßen verdreht, als wären die aus Gummi. Bisschen Moonwalk, bisschen Charleston, bisschen HipHop. TakeSomeCrimes fünf Jahre altes Video zu Parov Stelars Electroswing-Song Catgroovewurde auf Youtube bis heute mehr als 24 Millionen Mal angeklickt, ganz so viele Zuschauer wird die Videoinstallation Factory of the Sun von Hito Steyerl in Venedig nicht haben, für die TakeSomeCrime nun vor Steyerls Kamera getanzt hat. Doch die am 9. Mai beginnende Biennale ist neben der Documenta in Kassel so etwas wie die Weltausstellung der Kunst, und Steyerl ist deren führende Tech-Philosophin, in Theorie und Praxis.

Fasziniert hat Steyerl an TakeSomeCrime längst nicht nur der exaltierte Stil des Selfie-Dancers, „es ist eine Mischung aus Karate und Ukranian Dance, fantastisch“, sagt die Videokünstlerin. Fasziniert habe sie auch das Echo, das TakeSomeCrime im Youtube-Kosmos hervorrufe. Fans bleiben dort nicht nur Zuschauer, sie kopieren dessen Bewegungen auf alle möglichen Anime-, Game- oder Sonst-wie-Avatare und speisen die neuen Filmchen dann wieder auf Youtube ein. So schwirren TakeSomeCrimes Performances jetzt in verschiedenen Versionen durchs Netz. Genau das greift Steyerl auf, als Gleichnis für die digitale Überwachung jeder unserer Regungen. Factory of the Sunsoll dann auch nicht bloß eine Videoinstallation sein (zum Zeitpunkt des Interviews mit WIRED arbeitete Steyerl noch an der endgültigen Form). Sondern ein dystopisches Computerspiel, in dem sich Virtualität und Realität überlagern. Betrachter von Factory of the Sunwürden zwar ständig aufgefordert, Knöpfe zu drücken, mit dem Auftrag, Licht einzufangen, sagt Steyerl. Interaktiv ist das Spiel jedoch nicht, eher interpassiv: Die Aktionen der Zuschauer sollen keine Auswirkungen auf den Spielverlauf haben, sie würden bloß erfasst per Motion Capturing, dem Trickverfahren, das Bewegungen in Lichtpunkte übersetzt. Der Betrachter eines Überwachten wird beim Betrachten überwacht. Meta! 

 

Hito Steyerl ist eine von fünf Künstlerinnen und Künstlern, die Florian Ebner ausgewählt hat, der diesjährige Kurator des Deutschen Pavillons in Venedig. Neben Steyerl zeigt er Arbeiten des Fotografen Tobias Zielony, des Konzeptkünstlers Olaf Nicolai und der Videoaktivisten Jasmina Metwaly und Philip Rizk. Sein Venedig-Konzept hat der Leiter der fotografischen Sammlung des Folkwang-Museums in Essen überschrieben mit: „Widerständige Bilder in Zeiten digitaler Überbelichtung". Steyerls Schaffen passt da perfekt, die Macht der Bilder ist ihr Thema. Die 1966 in München geborene Deutschjapanerin hat Dokumentarfilm studiert und in Philosophie promoviert; neben ihrer künstlerischen Tätigkeit unterrichtet sie Medienkunst an der UdK Berlin, hält Vorträge und schreibt beißend ironische, hochkomplexe Essays, die Titel tragen wie Too Much World: Is the Internet Dead?oderIs the Museum a Battlefield? Steyerl erforscht in ihrer Kunst wie in ihren Texten unter anderem, was den Heilsversprechen und Bedrohungsszenarien zugrunde liegt, die übers Internet kursieren; wie Technologie, Globalisierung und Militarisierung sich womöglich gegenseitig bedingen; und immer wieder die veränderte Rolle des Bildes, das nie bloß Realität abbildet, sondern stets selbst neue Realitäten erzeugt. 

Steyerl benutzt bei ihren Videoinstallationen stets neue Technologien – und hinterfragt sie zugleich. Wirklich zeitgenössisch, so kann man das verstehen, wird Kunst nicht schon durch die Neuheit ihrer Mittel. Sondern erst, wenn sie die Bedingungen dieser Mittel reflektiert und deren Auswirkungen auf den Menschen.

Steyerls Kunst ist hochpolitisch, aber trotzdem witzig. Bestes Beispiel ist ihre Videoarbeit How not to be seen, die vor zwei Jahren im Arsenal in Venedig gezeigt wurde. Aufgebaut ist How not to be seenwie ein Youtube-Tutorial, das unterschiedliche Strategien des Verschwindens aufzeigt. Darunter: sich verstecken, kleiner als ein Pixel werden, eine Frau über 50 sein oder Superheld.Das ist absurd, urkomisch, aber auch bitter, denn eine Lösung gibt es in Wahrheit nicht. Die digitalen Spuren, die wir hinterlassen, bleiben. „Früher musste man sich mumifizieren lassen, Sarkophage bauen und Pyramiden und es kostete unglaublich viel Geld,“ sagt Steyerl und grinst. Das Internet ist wirklich der große Gleichmacher, auch im negativen Sinne: Nicht alle von uns sehnen sich nach Pharaonenstatus, manche pochen gegenüber Google lieber auf ihr Recht, vergessen zu werden.

 

Bei ihrer Videoarbeit How not to be seen arbeitete Steyerl mit CGI-Techniken und 3D-Architektur-Renderings. Sie benutzt neue Möglichkeiten stets auch auf die Gefahr hin, sich an den Fallstricken zu verheddern. Das digitale Bild, hat sie einmal gesagt, bestehe aus permanentem Scheitern. Damit meint sie konkret die Ausführung: „Von Projekt zu Projekt stolpere ich in neue Probleme und neue große Felder des Unwissens“, sagt Hito Steyerl. „ Erst einmal sind das alles Sachen, von denen ich keine Ahnung habe. Das Prinzip heißt: learning by failing.“ 

Warum sie sich das antut? „Ich glaube, dass sich daran tatsächlich Entwicklungen erkennen lassen, die sehr viel allgemeiner sind“, sagt sie. „An der Prosumer-Front lässt sich ablesen, was in der Gesellschaft sonst so passiert. Das ist wie ein Sensor.“ Soll heißen: Dadurch, dass wir alle heute oft nicht nur Konsumenten sind, sondern zugleich Produzenten, akzeptieren wir nicht nur die jeweilige Weltsicht, die etwa in Software einprogrammiert ist. Wir vervielfältigen sie durch unser Mittun gar. Als Beispiel nennt Steyerl das 3D-Plug-in für After Effectsnamens Elements 3D, zu dem man einzelne Pakete mit vorgeformten 3D-Modellen kaufen kann: Kampfflugzeuge, Handfeuerwaffen, Casino-Interieurs. Krieg und Gewinnstreben sind in den virtuellen Welten, die man aus diesen Grundelementen schaffen kann, gleich mit eingebaut.

Ebenso beschäftigt sich Steyerl mit Beauty-Filtern von Smartphones, die Haut makellos erscheinen lassen; der Smile Shutter-Funktion von Kameras, der nur Fotos von Lächelnden machen; und Tagging-Mechanismen, die Bilder zu lesbaren Daten werden lassen. Das Handy schönt eben unsere Wirklichkeit schon, bevor wir sie zur sozialmedialen Selbstdarstellung aufhübschen, und die Infos, wer uns wohin begleitet, liefert es gleich mit – zu aller Auslesbarkeit. 

Was aber bleibt von der menschlichen Existenz übrig außer einem Bewegungsprofil, einem Datensatz? Die Frage stellt Hito Steyerl immer wieder in ihrer Kunst, oft ironisch, stets ohne kulturpessimistisches Betroffenheitspathos, denn ihre Arbeiten huldigen der Faszination neuer Technologien ebenso, wie sie deren Absurditäten offenbaren. Eine Antwort scheint Steyerl in ihrem Venedig-Werk Factory of the Sunpassenderweise in Form eines Making-ofs zu liefern, das die Migrationsbiografien des Tänzers Mike und seiner Schwester nachzeichnet. Am Ende, könnte man hoffnungslos optimistisch folgern, sind unsere Geschichten immer das, was uns als Menschen ausmacht. Datensätze und Bewegungsprofile können die nicht erzählen. Kunst schon.