Bangkok Art Biennale: Einfach mal anfangen

Erschienen in WELT am Sonntag am 9. Dezember 2018

Weil Sammeln in Thailand keine Tradition hat, versucht die erste Biennale in Bangkok nun die Wahrnehmung für Kunst zu schärfen

Der Pool ist bis aufs Äußerste reduziert: Eine ovale Umrandung, ein türkisfarbenes Sprungbrett, eine Leiter aus Metall – mehr ist nicht. Elmgreen & Dragset haben den Beckenrand wie einen Bilderrahmen am Ufer des Flusses Chao Phraya aufgestellt. Blickt man hindurch, umschließt „Zero“ die 37 Stockwerkedes 5-Sterne-Hotels Peninsula. Man kann sich keinen besseren Ort für diese Installation des skandinavischen Künstlerduosvorstellen als Bangkok, die südostasiatische Tourismusmetropole, aus deren schweißtreibender Hitze man sich nur zu gern in den nächstgelegenen Swimmingpool flüchtet.

Mehr als 20 Millionen internationale Besucher verzeichnet die Stadt pro Jahr. Allerdings kommen sie nicht wegen zeitgenössischer Kunst. Dafür haben sich bislang andere Orte in der Region einen Namen gemacht, Singapur vor allem. Das Werk der auf Großausstellungen allgegenwärtigen Elmgreen & Dragset fungiert nun als Symbol für den Aufbruch der thailändischen Hauptstadt: Bangkok wagt den Sprung ins Haifischbecken der Kunstbiennalen, von denen weltweit zahllose um Aufmerksamkeit konkurrieren.

„Zero“ ist ein überaus Instagramtauglicher Versuch, sich auf dem übervollen Terminkalender auch der Kunstsammler zu platzieren. Den Besuch lohnen aber vor allem andere Exponate. Nicht die der großen im Westen bekannten Namen, zu denen Marina Abramović. oder Yayoi Kusama zählen, sondern die der Künstler und Kollektive aus Thailand, die fast die Hälfte der Künstlerliste ausmachen.

„Bangkok hat so lange auf diesen Moment gewartet“, wird Apinan Poshyananda, Leiter der Bangkok Art Biennale, nicht müde zu wiederholen. Primär, erklärt er WELT AM SONNTAG, sei die Biennale (bis 3. Februar) als Plattform für lokale Künstler zu verstehen und das in zweifacher Hinsicht: „Wir wollen sie auf die internationale Landkarte heben, aber auch den Menschen in Thailand vorstellen.“ Poshyananda spricht davon, während er eine Gruppe Journalisten durch verschiedene Ausstellungsorte entlang des Flusses führt.

Lässt man die drei bespielten Tempelanlagen einmal außen vor, ist das East Asiatic Building zweifellos der schönste der zwanzig Biennale-Schauplätze: 1901 im Auftrag des dänischen Kaufmanns Hans Nielsen Andersen und im Stil der venezianischen Renaissance errichtet, ein Kolonialbau im nie kolonialisierten Bangkok, steht seit einigen Jahren leer. Die Kunst hat ihn nun aus seinem Dornröschenschlaf geweckt.

Zu sehen ist dort unter anderem eine Videoarbeit von Anupong Charoenmitr (geboren 1981 in Bangkok), die anhand von Aufnahmen des East Asiatic Buildings und dessen Vorbild in Kopenhagen vom westlichen Blick auf das Thailand des 19. Jahrhunderts erzählt. Patipat Chaiwitesh (geboren 1986 in Chiang Mai) thematisiert die Verschmutzung des Chao Phraya mit Chemikalien und Plastikmüll. Die beiden stehen prototypisch für junge Thai-Künstler, die ihre Lebensrealität kritisch reflektieren. Ebenso wie Imhathai Suwatthanasilp, die sich mit der Situation von Prostituierten auseinandersetzt, und Sornchai Phongsa, dessen Installation auf jene von eingewanderten Arbeitern verweist, oder die fünf jungen Frauen des Muslima Collective, die die Gewalt des andauernden Konflikts in Südthailand verarbeiten.

Nicht zuletzt gibt es die Performancekünstlerin Kawita Vatanajyankur. Sie ist so etwas wie das Postergirl dieser Generation. Jung, weiblich, feministisch, mutig. Geboren 1987 in Bangkok, aufgewachsen in Australien, kehrte sie vor fünf Jahren ganz bewusst in ihre Heimat zurück, obwohl sie in Sydney bereits Ausstellungen hatte und eine Galerie. „Ich glaube, es ist jetzt die richtige Zeit für Asien“ sagt sie. In ihrer Kunst beschäftigt sich Vatanajyankur mit der Rolle der Frau im patriarchalen Thailand. Auf der Biennale zeigt sie eine Serie quietschbunter Videos samt wöchentlicher Live-Performance, in denen sie selbst zu Werkzeugen der Textilindustrie wird. In einem Video agiert sie als Weberschiffchen, das mit nicht viel mehr als einem Wollfaden bekleidet durch das gespannte Fach eines Webrahmens schlüpft.

Dass zeitgenössische Kunst keinen leichten Stand in Bangkok hat, ist eine Untertreibung. Staatlich geförderte Institutionen gibt es nicht. Bis vor einem guten Jahr hätte man noch das BACC nennen können, das Bangkok Art and Culture Centre – größter Standort der Biennale. Dann verkündete die Regierung, das Museum nicht mehr weiter zu tragen, eine Entscheidung, die auch politisch motiviert ist und das BACC in massive Schwierigkeiten stürzte, den Betrieb überhaupt am Laufen zu halten.

Unterstützung gibt es keine, Zensur aber findet statt. Nicht, wie es in manchem Nachbarland üblich ist, bereits im Vorfeld. Es geschieht aber durchaus, dass kritische Ausstellungen vorzeitig geschlossen werden. Noch häufiger sind es die Künstler jedoch selbst, die ihre Aussagen mäßigen, um keine Probleme zu bekommen – Selbstzensur.

Wo zeitgenössische Kunst zu sehen ist, ist dies auf privates Engagement zurückzuführen. „In Thailand existiert die Idee, Kunst zu sammeln, nicht“, sagt etwa Sutima Sucharitakul. 2016 eröffnete die 29- Jährige in einem Bangkoker Wohnhaus die Galerie Nova Contemporary. Zwei ihrer Künstler sind in der Biennale vertreten: Vatanajyankur und Latthapon Korkiatarkul (geboren 1988 in Bangkok). Passenderweise zeigt Korkiatarkul Geldscheine, von denen er den farbigen Aufdruck abgekratzt hat, zusammen mit den abgeschabten Pigmenten in einer laborähnlichen Installation. Die Scheine habe er im Internet gekauft. Die Frage, ob es sich um thailändisches Geld handelt, beantwortet er nicht. In Thailand ist es verboten, Banknoten zu zerstören. Der König ist auf ihnen abgebildet. Es wäre Blasphemie.

Die Galeristin blickt indes in eine fernere Zukunft als nur bis zur nächsten Biennale. „Innerhalb der nächsten zehn Jahre wird sich in Bangkok nichts ändern“, sagt Sucharitakul. Langsam, langsam würden die Thai Interesse entwickeln, aber kaufen? Dafür brauche es noch eine weitere Generation. Also versucht sie, ihre Künstler so gut wie möglich zu fördern. Sie konzentriert sich auf ihre Ausstellungen und bietet Begleitveranstaltungen für Schüler und für Erwachsene an. „Es ist aber gut, dass es nun anfängt. Das heißt, ich werde vermutlich in meinen Sechzigern sein, wenn Menschen in ihren Dreißigern verstehen, was Kunst bedeutet und ernsthaft sammeln“, sagt Sucharitakul. Und nach einer Pause: „Ich wünsche es mir.“ Dreißig Jahre. So lange muss sie, muss Bangkok noch durchhalten.

Beate SchederWelt, Kunst